Die unmittelbar Beteiligten in Tiegenhof/Gnesen - Dziekanka/Gniezno: "Was sie waren - was sie wurden" ...
Die unmittelbar Beteiligten "vor Ort" Ende 1943 /Anfang 1944 - beim gewaltsamen Tod von Erna Kronshage in Tiegenhof/Gnesen - Dziekanka/Gniezno - waren nach der einschlägigen Literatur (Ernst Klee: Was sie taten - Was sie wurden, Fischer TB 1986 - und die Staatsanwaltschaftlichen Unterlagen zur "Anklageschrift gegen Lensch und Dr. Struve - vom 24. April 1973 - Az 147 Js 58/67"):
- Dr. Victor Ratka, geb. 27.11.1895 in Ober-Lasizk
"....Herr Ratka [kann] weder als haftfähig noch als transportfähig beurteilt werden. Die Haftfähigkeit ist auch nicht in einer Anstalt mit Krankenstation gegeben. Die Transportunfähigkeit hat auch für Einzeltransport mit Krankenwagen zu gelten."
Ratka, nach dem Krieg in Kassel als "Mitläufer" entnazifiziert, hat seinen Lebensabend als Pensionär (mit den Ruhebezügen eines ehemaligen "deutschen" Anstaltsdirektors) im Badischen verbracht. Er ist am 5. April 1966 in Heitersheim verstorben.
- Dr. Walter Kipper, geb. 06.08.1897 in Radautz
Einen Einblick in die Nachkriegskontakte bietet ein Brief Kippers an Ratka vom 2.6.55: "Die Anschrift von Herrn Dr. Friemert bekam ich zugleich mit Ihrer... Er kam mit einem Treck nach Potsdam, Berlin, Dänemark, Schleswig, war zuerst Betriebsarzt, dann praktischer Arzt, seit 1952 ist er wieder beamteter Arzt beim Versorgungsamt Hannover... Er erinnert sich gut an mich, sandte mir unaufgefordert eine eidesstattliche Versicherung... Ich bekam von Herrn Dr. Friemert auch noch zahlreiche andere Anschriften, so von Landesoberverwaltungsrat Freier, Landeshauptmann Robert Schulz, Landesrat Dr. Neumann-Silkow, Dr. Nikolajew (Uelzen) usw..." (Dokument aus Verfahrensakten Js 10/65 GStA Ffm.). Der im Brief erwähnte Landesoberverwaltungsrat Freier war bei der Gau-Selbstverwaltung Wartheland Referent für das Sachgebiet "Allgemeine Verwaltungsangelegenheiten- Personalangelegenheiten der Haupt- und Sonderverwaltungen, Anstalten und Einrichtungen". Er wurde nach dem Kriege Oberverwaltungsrat in Holzminden - so die Anklageschrift der StA Hamburg 147 Js 58/67 (zu Dr. Friemert - s. Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2007 - und: Was sie taten - Was sie wurden, 1986).
Quelle: auf die Abb. clicken .. |
- Dr. Wahrhold Ortleb
- Dr. Astrid Praetorius, geb. Stephanie
- Dr. Paul Tschernay
- Oberpfleger und Pflegevorsteher Wilhelm Jobst, geb. 26.09.1886 in Dahlenrode Krs. Göttingen
- Oberpflegerin und Pflegevorsteherin Maria Lüdtke
- Oberin Wieczorek
- Oberpflegerin Wiedenhöft
- Pflegerinnen Klotz, Klopp, Wilke, Anna Stosik, Hadenfeldt geb. Nowak, Querner geb. Behnke, Schark - waren auf der "Frauenseite" zum Todeszeitpunkt von Erna Kronshage tätig - auch sie waren nach dem Krieg teilweise in Süchteln bzw. in Hadamar tätig, soweit das zu recherchieren war.
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- Von Ende 1939 bis Anfang 1945 sind in Tiegenhof/Dziekanka nach offiziellen Angaben der jetzigen Klinikleitung auf deren Homepage fast 3.600 Menschen umgebracht worden - also ca. 700 Personen pro Jahr - das sind durchschnittlich fast 2 Tote pro Tag - in einer Einrichtung mit einer Belegungszahl von etwas über 1.000 Menschen ... entsprach das einer durchschnittlichen Sterberate von mindestens 70 %.
Gerade "die Anstalt Tiegenhof (Dziekanka) in Gnesen galt bis zur deutschen Machtübernahme als eine der fortschrittlichsten in Polen. Die Sterblichkeitsrate betrug dort lediglich 1 – 2% und gehörte somit zu den niedrigsten weltweit" (Karolina Nowak: Die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ im Reichsgau Wartheland 1939-1945, Magisterarbeit, Freiburg 2009 - S.49).
- Inzwischen wird in der Fachliteratur von ca. 5.000 Krankenmorden in "Tiegenhof" ausgegangen.
Ein jüngst ausgewertetes Sterbetagebuch
der "Gauheilanstalt Tiegenhof"/Dziekanka-Gniezno, das sich im
MUZEUM MARTYROLOGICZNE W ŻABIKOWIE in Luboń-PL befindet, setzt in der hier am 23.10.2023 eingetroffenen Kopie aus einem der dort vorhandenen akribisch geführten Sterbetagebücher das Ableben von Erna Kronshage augenscheinlich auf den "19.II. [2.] 1944" fest - das Sonder-Standesamt in Tiegenhof/Gnesen beurkundet jedoch den "20.2.1944, um 9 Uhr 30" als Sterbedatum ...
In dem Sterbetagebuch der „Gauheilanstalt Tiegenhof“/Gniezno, das sich im MUZEUM MARTYRO-LOGICZNE W ŻABIKOWIE in Polen befindet, wird das Ableben von Erna Kro[h]nshage offensichtlich auf den „19.II. [2.] 1944“ datiert - zusätzlich ist vermerkt, dass der Leichnam am „24.II.44“ in einem „Eig. Sarg [nach]Westen“ verbracht wird. Die Konfession ist mit "evgl.“ vermerkt.
Die Sterbeurkunde des Sonder-Standesamtes der deutschen Besatzung in Tiegenhof/Gnesen, datiert das Datum des Ablebens auf den „20. Februar 1944, um 9 Uhr 30“.
- In dieser letzten Phase der "Euthanasie"-Ermordungen insgesamt gibt es oft Zuordnungsprobleme mit den exakten Sterbedaten: Die zentrale "T4-Verrechnungsstelle" in Berlin hat nachweislich mit Kostenabrechnungen verschiedener Pflegesatz-Kassen, Fürsorge-Verbänden und Versicherungsträgern zu tricksen gewusst, und konnte mit gezielten Falschangaben zusätzliche Mittel für die klammen NS-Kriegskassen generieren: (s. dazu die Stichworte: „Kostenabrechnung“ u. "Millionen-Becker" bei Wikipedia „Aktion Brandt“.
- Den Hinweis auf die vorhandenen Sterbebücher entnahm ich dem Buch: Grazyna Gajewska, Maria Tomczak, Marek Kazmierczak, Anna Ziolkowska, Ewelina Szurgot-Prus: UNPRODUKTIVE ESSER, Poznan 2017:
Der nebenstehende Titel von 2017 beschäftigt sich in seinen Abschnitten in Teil II explizit mit den Zuständen
in der Anstalt "Tiegenhof"/Dziekanka besonders auch in den letzten Kriegsjahren.
Die z.T. reproduziert und abgedruckten, kommentierten Briefe vom Patienten Heinrich Wulf, der mit Erna Kronshage im gleichen Transport am 12.11.1943 aus Gütersloh nach "Tiegenhof" deportiert wurde, geben unverblümt Einblick in die dortige Situation - umd wenn auch die Briefe zensiert wurden und "geschönt" werden mussten, was Wulf auch offen nach Hause formuliert.
Heinrich Wulf überlebte die Tötungsanstalt - und sein Enkel Godehard Wulf konnte den lange verschwiegenen Opa und seinen Aufenthalt dort und seine Biografie anhand der hinterlassenen Briefe und Urkunden rekonstruieren.
Im Anhang dieses Sammelbandes werden die Opferzahlen im Tiegenhof beleuchtet - und es wird auf Aufzeichnungen verwiesen zu Sterbelisten, die ein unbekannter Patient oder Mitarbeiter hinterlassen hat, so dass damit noch manch blinde Opferbiografieflecken Farbe bekommen könnten.
Gajewska, Grazyna - Maria Tomczak, Marek Kazmierczak, Anna Ziolkowska, Ewelina Szurgot-Prus:
UNPRODUKTIVE ESSER
Studien über das Schicksal der Kranken und psychisch Belasteten unter der NS-Herrschaft
Poznan 2017, UNIWERSYTET IM. ADAMA MICKIEWICZA W POZNANIU, >>> lies die vollständige 156-seitige Yumpu-Lese-Kopie
http://www.zabikowo.eu/multimedia/162-tiegenhof - übersetzt ins deutsche mit Google-Translator |
Titel des DVD-Begleittext-Flyers (polnisch) |