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S!NEDi|photography
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Nach allem, was wir heute wissen, konnte Erna Kronshage wahrscheinlich zu den 473 Frauen der "Gruppe III" gezählt werden, jener vom Provinzialverband angeforderten Aufstellung nach den vorliegenden Melde- und Bewertungsbögen (= "für den Anstaltsbetrieb verwendbar...") - hatte der Anstalts-Direktor Hartwich doch erst ein paar Monate zuvor Erna Kronshage vor dem Erbgesundheitsobergericht in Hamm bescheinigt, sie arbeite in der Anstaltsgärtnerei "doch auch ganz fleißig mit".
Es folgen 2 Reproduktionen der diesbezüglichen einschlägigen "Zahlen"-Korrespondenz zwischen dem Provinzialverband und der Heilanstalt Gütersloh - Quelle: LWL, Dr. Walter) - mit der die Schicksale der Verlegungskandidaten in die Vernichtungsanstalten letztlich besiegelt wurden. Die Entscheidungen zwischen Leben und Tod wurden also mit bürokratischen Nützlichkeitsabwägungen in Fallzahlen getroffen. Der Mensch selbst trat hinter diese Fallzahlanforderungen zurück.
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Zur Aufrechterhaltung der Anstaltsbetriebe mit dem neu eröffneten Lazarettbereich in Gütersloh benötigte man also nur 350 Frauen. 123 Frauen der besagten "Gruppe III" waren also "dabei über" und konnten somit auch "verlegt" werden.
Da Erna Kronshage in den Unterlagen der Provinzialheilanstalt, die wir einsehen können, immer mal wieder als "anmaßend" und "frech" und "renitent" und "unruhig in der Nacht" bezeichnet wird - also vielleicht "missliebig" - und vielleicht nicht zuletzt wegen der mutigen mehrfachen Eingaben und Ein- und Widersprüche des Vaters und Sorgeberechtigten Adolf Kronshage (Erna Kronshage war bis zum 11.12.1943 immer noch minderjährig!!! - ) und seinem in dieser Hinsicht mehrfach gestellten Antrag auf rasche Anstaltsentlassung (= diesem Antrag hätte zumindest nach der erfolgten Sterilisation im August 1943 m.E. nichts mehr im Wege gestanden ...) - das alles zusammen könnte vielleicht den Ausschlag gegeben haben, dass Erna Kronshage mit auf diese Abtransport-Liste gesetzt wurde. Sie war arithmetisch "einfach über" - überzählig - und mit ihr weitere 122 Frauen ...
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Neuere Informationen besagen, man habe vielleicht gar nicht so sehr auf die Leistungsgruppen abgehoben oder auf "Verhalten" bzw. "Sanktionen" gegenüber einzelnen Patienten bei der Zusammenstellung der Transportlisten - ausschlaggebend sei vielleicht vielmehr der komplette Räumungsbedarf mancher Häusertrakts im Gütersloher Anstaltsgebiet gewesen, um die von der "Sonderaktion Brandt" angeforderten und benötigten Betten zur Verfügung stellen zu können, damit die zu evakuierenden Kliniken und Lazaretteinrichtungen im Ruhrgebiet bei den dortigen andauernden Bombenangriffen entlastet werden konnten ...
Warum im Zuge der "Aktion Brandt" aber gleichzeitig immer wieder auf die angebliche "Evakuierung aus Luftschutzgründen" der Heilanstalten als Verlegungsgrund an sich verwiesen wurde - aber nun in diese "gefährdeten" Räumlichkeiten und Betten verletzte Zivilisten und Soldaten aus angeblich noch mehr gefährdeteren Gebieten verfrachtet wurden, bleibt etwas schleierhaft - zumal ja die Liquidierungen dieser nun tatsächlich zu "Ballast" gewordenen psychiatrischen Patienten eindeutig mit im Kalkül standen ...- und im Osten ebenfalls nur auf gerade erst durch Krankenmorde freigewordene Bettenkapazitäten treffen konnten ...
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Inwieweit dieser "Verlegungs"-Transport am 12.11.1943 mit den sorgeberechtigten Angehörigen kommuniziert wurde - und vielleicht dazu eventuell sogar diesbezügliche Genehmigungen eingeholt wurden - (Stichwort dazu auch: "Aufenthaltsbestimmung" ... s.d.) - oder ob - wie weiter unten beschrieben - den Angehörigen im Nachhinein einfach "Vollzug" mitgeteilt wurde, entzieht sich z.Z. im Fall Erna Kronshage noch meiner Kenntnis ...
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Deportationsliste für den 12.11.1943 "50 Frauen nach Gnesen" - mit Erna Kronshage als 6. von oben ... - Irgendwie haben diese Art Listen etwas von "Stückgut"-Verwaltung: Dass hier Menschen deportiert und verschoben werden bis in den Tod - war diesem "listenführenden" Sachbearbeiter so in aller Konsequenz wahrscheinlich nicht bewusst ....
Da die Sterberate dieser Transporte von Gütersloh nach Meseritz-Obrawalde und weiter nach Gnesen/Gniezno bei weit über 80% lag bis zum Kriegsende, habe ich die übrigen Namen unkenntlich gemacht - bei Bedarf bin ich zu Auskünften, soweit sie mir vorliegen, gern bereit | vergrößern
Die zur feierlichen Eröffnung 2014 der Gedenkstätte für die 1.017 deportierten Patienten aus Gütersloh gehaltenen für die historische Forschung und Einschätzung wichtigen Reden können sie hier als pdf lesen, wenn Sie auf das Bild clicken:
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Ja - der Rechenschieber - und eine willkürliche Zurechnung also -
- der Aufenthalt zur falschen Zeit am falschen Platz
oder das Aschenputtel-Prinzip: "Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen" - "Eene meene muh und raus bist du!" entschieden hierbei über Leben und Tod - und hinzu kamen sicherlich urmenschliche Gründe wie "Sympathie" und "Antipathie" ...
Foto: NS-Propagandaplakat - theblackcordelias.wordpress.com
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foto: footage.framepool.com
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Für die Durchführung der Transporte am 12. November 1943 in diese weiter östlich gelegenen Anstalten teilte die Gekrat (damals nicht in Berlin - sondern in "Hösel bei Ratingen/Rhld." - als Unterabteilung einer effizienten "Eingreiftruppe" für Lazarettbetten-Beschaffung... - direkt dem Generalkommissar Prof. Dr. Karl Brandt unterstellt) am 28. Oktober unter dem Original Gekrat-Stichwort "Sonderaktion Brandt"*) mit:
"Sehr geehrter Herr Direktor Hartwich! Zum Abtransport Ihrer Kranken hat mir die Reichsbahndirektion für den 12. November einen Sonderzug zusammengestellt. Es gehen am 12.11.43 fünfzig Kranke nach Meseritz, fünfzig Männer und fünfzig Frauen nach Gnesen und hundert Frauen und vierzig Männer nach Warta b. Schieratz. Der Sonderzug läuft bis Posen und wird dort aufgeteilt. Er geht abends um ca. achtzehn Uhr in Hamm ab. Ich werde noch versuchen, den Zug in Gütersloh abfertigen zu lassen, ob es möglich ist, weiß ich noch nicht. Genauere Nachrichten übermittle ich Ihnen noch telefonisch, am Termin ändert sich nichts mehr. Die restlichen fünfzehn Kranken für Bernburg werden im Laufe des Novembers, nach vorheriger Verständigung mit Ihnen abgeholt und per Autobus nach Bernburg gebracht. Heil Hitler! gez.Sawall."
*) Die Bezeichnung "Sonderaktion Brandt" war zunächst ab Mitte 1943 sicherlich der Sammelbegriff für Adhoc-Maßnahmen zur raschen Bereitstellung von benötigten Lazarettbetten-Kapazitäten für den Ernstfall - z.B. nach massiven Bombenangriffen der Alliierten im Ruhrgebiet 1943/44 und für verwundete Soldaten an der Ostfront (Stalingrad).
Diese Kapazitäten ergaben sich natürlich am Besten in vorhandenen Anstalts- und Klinikbereichen bei dort gegebener ärztlicher und pflegerischer Versorgung, in dem die bis dahin dort Betreuten rechtzeitig prophylaktisch oder reaktiv adhoc verlegt wurden.
Für eine solche rasche "Austausch"-Aktion zeichnete nun Prof. Dr. Karl Brandt neuerdings als Generalkommissar und Begleitarzt Hitlers allein voll verantwortlich - und gab entsprechende Order in Form seiner typischen ambivalenten "Distanzierten Entscheidungsfindung" (wie Ulf Schmidt diese Art von indirekter Weisungserteilung nennt) über seine alten ihm unterstellten "Seilschaften" wie der "T4"-Tarnorganisation, nun aber zumeist recht dynamisch, mündlich - ohne langfristige vorbereitende Planung - vorbei an alle bisherigen "Dienstwege", unter Umgehung aller zäher Bürokratie - mit einer neu gebildeten "Eingreif-Truppe" in Hösel bei Ratingen/Düsseldorf.
Dabei wurde in der Logistik zu solchen Aktionen der "Gnadentod", die "Ausmerze", die "Desinfektion" in den "Verlege"- bzw.Tötungs-Anstalten der unter einer solchen Prämisse "verlegten" Patienten "notwendigerweise", ohne jede Alternative, stillschweigend billigend in Kauf genommen und einkalkuliert - ansonsten gingen solche raschen Adhoc-Entscheidungen in ihrer internen arithmetischen Logik gar nicht auf.
Man tat nach außen übereifrig alles für die Kriegsverletzten, und opferte dafür stickum die psychisch Kranken und andere.
Somit wurde der Begriff "Sonderaktion Brandt" gleichermaßen ein Synonym für viele nun tausendfach "dezentral" organisierte, aber zentral angewiesene und verantwortete Krankenmorde in den Verlege-Anstalten - eine Fortsetzung der NS-"Euthanasie" unter anderen hehren Vorzeichen.
Ob diese "tödlichen Konsequenzen" und Zusammenhänge den Handelnden vor Ort überhaupt noch bewusst geworden sind, sei mal dahin gestellt. (Literatur hierzu insgesamt in: Ulf Schmidt: Hitlers Arzt Karl Brandt, 2009).
In der einschlägigen Historiker-Literatur zum Thema "Krankenmorde/NS-"Euthanasie" wird immer wieder die Bezeichnung "Aktion Brandt" diskutiert als "missverständlich" und nicht originär aus der NS-Zeit rezipiert - aber hier abgebildet, in einem "zeitgenössischen Dokument" von der Gekrat, ausdrücklich als "Sonderaktion Brandt" benannt - und z.T. wird dann diese Phase der Krankentötungen (nach Wikipedia im Abschnitt "Kindereuthanasie: Phasen der NS-"Euthanasie") "nach neuesten Forschungen" angeblich gar nicht mehr zum Komplex "NS-Euthanasie" gezählt ... (?)
Damit differenziert man hier und da dann begrifflich zwischen den "echten", den "halbechten" oder sogar den "falschen" Krankenmord-Opfern. Allerdings - wie mit dem Begriff "Euthanasie" = "schöner Tod" für brutale Krankenmorde - wird dann letztlich den ursprünglichen Verschleierungs-Intentionen der NS-Mörder und ihrem Sprachgebrauch Folge geleistet -: Man hatte ja die in der Öffentlichkeit allmählich publik gewordene und aufgeflogene "T4"-Aktion eingestellt, aber nur, um dann alle weiteren diesbezüglichen Mordaktionen insgesamt etwas mehr zu dezentralisieren und zu verheimlichen und unkenntlich zu machen - und die Todesursachen der massenhaften Opfer als "natürlich" hinzustellen.
Die Sterberate fast aller Verlegungstransporte, die der "(Sonder-)Aktion Brandt" aus Westfalen zuzuordnen sind, lag meist bei über 80%, die Anstaltssterbequote in Tiegenhof betrug in den Jahren 1939-1945 jährlich fast 70 % [ca. 1000 Bettenplätze Kapazität = ca. 3.600 Opfer in ca. 5,5 Jahren] - in Friedenszeiten bei "normaler Kost" betrug die Sterberate ca. 3 bis 5 %.
Diese unsinnigen Begriffs-Diskussionen der nachgeborenen "Historiker"-Generation und deren Erbsenzähl-Spiele ("echte" NS-"Euthanasie" - weniger "echte"...) folgen damit jener NS-Absicht, die Tötungsfakten und -gründe zu verschleiern und noch einmal zu differenzieren oder gar abzustufen in ihren jeweiligen Scheußlichkeiten.
Es wird immer wieder behauptet, Götz Aly habe diesen Begriff "Aktion Brandt" allein zur Unterscheidung von der so genannten "Wilden Euthanasie" selbstständig eingeführt und präzisiert. Auf diesem hier auch in der Vergrößerung reproduzierten Anschreiben der damals nach wie vor zentralgesteuerten Gekrat-Organisation (Herr Sawall) vom 28.10.1943 - finden wir nun ausdrücklich die Bezeichnung "Sonderaktion Brandt".
"Die gesamte Transportorganisation [der Verlegungstransporte 43/44] rangierte unter dem Decknamen 'Sonderaktion Brandt'.
Dieses Stichwort findet sich auf allen Briefen der Anstalt Gütersloh an die Gekrat, die die vorübergehende Einschränkung der Lebensvernichtung 1941 überlebt hatte, ...die Beteiligung der Gekrat, ... hätte den Verdacht aufkommen lassen müssen, dass nicht nur der Luftschutz und damit der vorgetäuschte Schutz der Patienten vor den Kriegseinwirkungen der alleinige Grund für die Verlegung war."
(Rudolf Hans: Psychiatrischer Alltag im Nationalsozialismus, unveröffentl. Hausarbeit, Bochum 1983, S. 71/72).
Die Gemeinnützige Krankentransport GmbH (kurz: Gekrat) war eine nationalsozialistische Tarnorganisation, eine Unterabteilung der Organisation T4, welche im nationalsozialistischen Deutschen Reich für den reibungslosen und punktgenauen Transport von kranken und behinderten Menschen verantwortlich war, die im Rahmen der NS-Rassenhygiene ermordet wurden.
Das lässt ziemlich zweifelsfrei darauf schließen, dass es sich bei der Bezeichnung "Sonderaktion Brandt" auch um einen "gewöhnlichen" und einschlägig bekannten Tarnnamen für eine erneute diesmal dezentral ausgeführte, jedoch zentral logistisch geplante NS-Krankenmord-Phase handelte, wie Aly das richtigerweise schon in den 80er Jahren umschrieben hatte.
Da die "Verlegung" einherging mit gewaltsamen Tod - ist es müßig zu spekulieren, was im Vordergrund stand: die Kranken-Tötungen dieser insgesamt 290 verlegten Gütersloher Patienten auf der einen Seite - oder die "Frei"setzung für den Lazarettbettenbedarf in Gütersloh auf der anderen Seite ...: Dr. Brandt als Leibarzt Hitler zeichnete für beide Maßnahmen in Personalunion von Anfang an und hatte insgesamt dazu die formale "Befehlsgewalt".
Brandt war ab 28. Juli 1942 Bevollmächtigter für das Sanitäts- und Gesundheitswesen sowie ab 5. September 1943 Leiter des gesamten medizinischen Vorrats- und Versorgungswesens. Ein Schreiben Hitlers, datiert auf den 1. September 1939, wahrscheinlich aber erst im Oktober entstanden, ernennt den Chef der Reichskanzlei Philipp Bouhler und Hitlers Begleitarzt Karl Brandt zu "Euthanasie"-Beauftragten - die dann über die Zentrale T 4 in der Tiergartenstraße mit ihren Tarnorganisationen eine gigantische Massenvernichtungslogistik aufbauten - zumindest erst einmal bis 1941 ...
All diese T 4-Tarnorganisationen waren jedoch bei der "Sonderaktion Brandt" bereits ab Mitte 1943 mehr oder weniger wieder mit von der Partie ... - und stellten ihre immer noch funktionierenden Seilschaften und ihr tödliches "Know How" zur Verfügung ... Die Todesrate dieser Transporte jedenfalls lag bei Kriegsende in allen Zielanstalten - wie gesagt - bei über 80 % ....
Aus einem diesbezüglichen Schreiben zu einem Transport der Alsterdorfer Anstalten - in Gütersloh sah das bei der Gleichschaltung der Bürokratie und der gleichen zentral operierenden Abteilungen der Organisation T4/GEKRAT sicherlich ähnlich aus.
"Die Markierung der Kranken" sollte mit einem "Leukoplaststreifen zwischen den Schulterblättern" erfolgen.
(Fotomontage: privat)
Sogar der Wortlaut des Schreibens, mit dem die Angehörigen zu benachrichtigen waren, wurde vorgegeben:
"Aufgrund eines Erlasses des zuständigen Reichsverteidigungskommissars wurde heute der Pflegling... durch die Gemeinnützige Krankentransport GmbH in eine andere Anstalt verlegt, deren Name und Anschrift mir noch nicht bekannt sind."
(so ähnlich wird das Standardschreiben auch aus Gütersloh gelautet haben...)
(GEKRAT-Abholbusse zum Bahnhof - hier in Grafeneck und Hartheim)
Zeitgenössische Motive Transport mit der Reichsbahn)
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Abfahrt/Ankunft eines Transportes
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